"Etiquette" - Umgangsformen im Dojo

Kamiza - Shomen

Die Wand, an welchem das Bild von O-Sensei Morihei Ueshiba hängt, bezeichnet immer die Stirnseite - "Shomen" - in allen Aikido-Dojos. Sie wird auch als Kamiza - das obere Sitz-Ende, im Sinne von "höhergestellt" - bezeichnet. Dass man Kamiza auch als "Sitz der Götter (Kami)" übersetzen könnte, hat heute nur noch eine semantische oder philosophische, jedoch keine religiöse Bedeutung. Die gegenüberliegende Seite ist entsprechend das Shimoza - das unten liegende Sitzende.

Der Lehrer setzt sich ans obere, die Schüler ans untere Ende.

Dies drückt die Wichtigkeit der Weitergabe des Lehrinhalts aus. Der Lehrer ist nicht bloss Animateur der Teilnehmer zum Sport, sondern Instruktor des Lehrinhalts, welcher von O-Sensei Morihei Ueshiba entwickelt wurde. Der Lehrer hat ihn selber wiederum von seinen Lehrern erfahren und fungiert damit als ein Bindeglied zwischen O-Sensei und den anwesenden aktiven Schülern. Wie in allen Budo-Künsten sind auch im Aikido Achtung und Respekt vor dem Lehrinhalt und vor allen Personen, welche vor uns gelernt und gelehrt haben, zentral. 

Die Verneigung

In der asiatischen, speziell in der japanischen Kultur besitzen formelle Gesten grosse gesellschaftliche Bedeutung. Die Verneigung entspricht als Handlung in etwa dem westlichen Händeschütteln. Darüber hinaus hat sie grosse Bedeutung in Bezug auf den gesellschaftlichen Status und Rang. So spielt neben der Form auch die Ausführung eine grosse Rolle: Wer sich vor wem zuerst und wie tief verneigt.

Stehend wird sie mit beiden Händen an der Vorderseite der Oberschenkel ausgeführt. Dabei wird der Rücken gerade gehalten und der Blick gesenkt. Formell wird der Kopfscheitel entblösst.

Sitzend im Seiza platziert man die linke Hand und anschliessend die rechte flach am Boden. Die gestreckten Zeigefinger und Daumen berühren einander und bilden ein Dreieck. Man verneigt sich mit dem Kopf so tief, dass man den eigenen Atem auf dem Handrücken spürt. Vor Personen im Meistergrad verneigt man sich mit der Stirn bis zum Handrücken.

Bei jeder Verneigung wird der Blick gesenkt, denn es wird als grosses Misstrauen und Unhöflichkeit betrachtet, wenn man sein Gegenüber bei der Verneigung ansieht.

"Etiquette" im Training

Beim Betreten des Dojo erweist man dem Ort seinen Respekt durch eine kurze Verbeugung zur Raummitte. Die Schuhe können für den Weg in die Garderobe anbehalten werden, dort werden sie gegen Zoris (Hausschuhe), Adiletten o.ä. ausgetauscht. Die Kleidung zum Training sollte sauber sein, da Aikido im direkten Körperkontakt ausgeübt wird. Mehrfach getragene Kleidung gilt nicht nur als unhygienisch, sondern auch als Unhöflichkeit seinen Mitmenschen gegenüber. Zum Einführungskurs oder Schnuppertraining ist ein normaler Trainings- oder Freizeitanzug ausreichend. Zum regelmässigen Praktizieren ist allerdings ein weisses Budo-Gi, ein Judo-Anzug mittlerer Stoffstärke, unerlässlich.
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Hat das Training noch nicht begonnen, deponiert man beim Betreten der Mattenfläche die Zoris (Hausschuhe) am Mattenrand mit der Ferse zur Matte hin und grüsst mit kurzer Verbeugung in Richtung Shomen, d.h. zum Bild von O-Sensei Morihei Ueshiba. Anschliessend kann man sich bis zum Trainingsbeginn frei auf den Matten aufhalten.

Die Mattenfläche ist der zentrale Ort des Dojos und ein Platz des ernsthaft Übens. In der Zen-Betrachtung ist es ein Ort des sich Weiterentwickelns und der Auseinandersetzung mit sich selbst. Herumalbern sollte unterlassen, Privatgespräche auf ein Minimum reduziert werden. Es soll die nötige Ruhe zur Vorbereitung auf den Unterricht und zum sich Sammeln gegeben sein.

Bei Trainingsbeginn
Die Klasse setzt sich in einer Reihe nebeneinander mit Blickrichtung Shomen in der Seiza-Position dem Trainingsleiter gegenüber. Bei formelleren Anlässen, beispielsweise bei Besuchen hochgradierter Lehrer oder zu Beginn spezieller Lehrgänge o.ä., setzen sich die Schüler in der Reihenfolge der Gradierung hin, beginnend mit dem höchstgradierten Schüler am entferneren Ort vom Eingang her betrachtet. 
Nach einer kurzen Weile der Vertiefung grüssen alle zuerst in Richtung Shomen und anschliessend grüsst die Klasse zum Trainingsleiter mit dem Wunsch “Onegai Itashimasu”, der höflichen Bitte um Belehrung. Übersetzt heisst der Ausdruck ungefähr "bitte sehr, nehmt!" - als gegenseitige Aufforderung, man möge von dem Dargebotenen nehmen, ähnlich wie von einer aufgedeckten Tafel.

Bei jeder Übungssequenz
Die meisten Übungssequenzen werden mit Partner ausgeführt, entweder zu zweit oder mit mehreren Aikidokas gemeinsam. Vor jeder Übung grüssen sich die Partner durch Verneigung. Das zeigt nicht nur Respekt und Achtung vor dem Partner, sondern gibt auch den Beginn der Übung an.
Der Trainingsleiter signalisiert das Ende der Übungssequenz. Die Partner grüssen einander wiederum durch Verneigung, setzen sich zurück in die Reihe und nehmen aufmerksam an den Ausführungen teil.

Bei Ende der Lektion
Die Lektion soll pünktlich beginnen und pünktlich enden. Es versteht sich von selbst, dass alle gemeinsam beginnen und auch gemeinsam abschliessen. Das frühzeitige Verlassen des Unterrichts sollte daher vermieden werden. Trotzdem kann es vorkommen, dass man das Dojo vor Ende der Lektion verlassen muss. Darüber soll der Trainer vorgängig unterrichtet werden. Zu gegebenen Zeitpunkt verlässt man ruhig die Mattenfläche, grüsst am Mattenrand Richtung Shomen und verlässt die Fläche nach erneutem kurzen Gruss.
Der reguläre Abschluss der Lektion erfolgt in derselben Sitzordnung wie bei Lektionsbeginn mit gemeinsamem Gruss zuerst in Richtung Shomen, dann zwischen Schüler und Lehrer, begleitet von den Worten "domo arigato gozaimashita!" ("Vielen Dank!"). Der Lehrer verlässt darauf den Platz vor dem Kamiza. Währenddessen bleiben die Schüler sitzen und warten, bis der Lehrer vom Mattenrand einen letzten Gruss ausführt und damit die gesamte Unterrichtseinheit abschliesst. Meist grüssen die Schüler dann untereinander noch jene Partner, mit denen sie während der Lektion geübt haben.